berTRAM schrECKLich
dArF mAN TroTZdeM LacHEn?
Jeder kennt diese Momente, in denen man hin- und hergerissen ist, zwischen lauthals auflachen und erschrocken nach Luft japsen. Und falls sie doch jemand nicht kennen sollte, der kann diese Bildungslücke (eigentlich Emotionslücke), ganz einfach durch einen Kabarettbesuch oder die Eingabe des Suchbegriffs Fails auf youtube schließen.
Die Kabarettelite, wie bspw. Josef Hader, Alfred Dorfer, Volker Pispers oder auch Serdar Somuncu, jongliert mit exakt diesen Empfindungen ihres Publikums. Als ich mich zur Einstimmung auf diesen Artikel auf youtube durch einige Clips von Serdar Somuncu klickte fiel mir irgendwann auf, dass die Lacher – je nach Publikum – mal nahezu ausblieben und mal überschwänglich zelebriert wurden. Die Zuseher reagierten vereinzelt dermaßen unverhältnismäßig ausgelassen und intensiv, dass dem Kabarettisten selbst die Worte fehlten. Oder vielmehr selbst nicht so recht wusste, ob er seinen Schmäh verstanden hat. Ergo: Selbst Profis können nur mutmaßen, ob, wann und warum etwas lustig ist oder nicht.
Doch beschränken sich diese emotionalen Konflikte nicht auf die Satire, sondern begegnen uns beinahe tagtäglich. Man muss über etwas oder jemanden lachen, oder tut es einfach so, ohne zu müssen, obwohl der lächerliche Gegenstand, beziehungsweise die Handlung eigentlich nicht lustig sind. Humor ist ein seh,r sehr schmaler Grat, der je nach Milieu, Ort, Bildung, oder Ideologie stark differieren kann.
Ein Unterschied, zwischen einer solchen sowohl ernsten als auch lustigen Situation im Kabarett und beim youtuben und einer solchen Situation im Alltag, ist schlichtweg, dass man sich auf die einen bewusst einläßt und man in die anderen plötzlich hineingeraten kann. Die Reaktion auf dein Lachen, genauso wie das Lachen als deine Reaktion können im wahren Leben unangemessen wirken und auch sein. Denn selbst als Beobachter ist man eben Beobachter und nicht komplett unbeteiligt. Dieses Lachen kann genauso als aktive, wie auch passive Reaktion gewertet werden. Jedenfalls wird ein Lacher in der freien Wildbahn nicht immer gleich behandelt/geschmeichelt aufgesogen, wie einer im Kabarett. Sie differieren differieren dahingehend, dass der laute einsame Lacher an einer unpassenden Stelle während einer Kabarettvorstellung schlimmstenfalls die Aufmerksamkeit des Künstlers und in weiterer Folge vielleicht die eine oder andere bissige
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Bertram Schrettl Darf man trotzdem Lachen?
Bemerkung nach sich zieht. Wohingegen eine falsche Reaktion in der realen Welt rasch sehr eindeutig und zwar eindeutig gefährlich werden, oder zumindest blöd interpretiert werden kann.
Zunächst aber einige Worte zum „Verlachen“ im Kabarett.
Als Serdar Somuncu in seinem Programm „Hassprediger“ davon spricht, dass er eine Moschee mitsamt deren Besucher anzünden wolle und das Publikum daraufhin mit zügellosem Gelächter und Applaus antwortete, wusste er zunächst nicht so recht, wie ihm geschah bzw. wie sehr
(siehe: Serdar Somuncu! - Das beste aus der Hassprediger: https://www.youtube.com/ watch?v=jGLjLuzV3Ik )
Es wirkt so, als hätte er zwar mit vereinzelten beschämten Grinsen, zurückhaltendem leicht irritiertem Kichern, bzw. einigen lauten, aber genauso kurzen und unüberlegten Lachern gerechnet, aber nicht mit einer euphorischen Resonanz diesen Ausmaßes. Nahezu die komplette Zuseherschaft kriegte sich einige ewige Momente nicht mehr ein (bestätigendes Gelächter mitsamt Applaus), bis Somuncu für einen kurzen Augenblick, den Bruchteil eines Satzes nämlich, aus seiner Rolle schlüpfte, um für alle Anwesenden die letzte Pointe gemeinsam zu reflektieren. Mahnend richtete er sich an alle unüberlegten Lachenden: „Mäßigen Sie sich. Das war eine Falle für die Deutschen! Das gefällt ihnen, wenn man sagt Türken anzünden...“
Zu diesem Zeitpunkt war er sich ziemlich sicher, dass die Zuseher den Zynismus und Sarkasmus hinter der Aussage entweder bewusst ausblendeten, oder einfach nicht verstanden. Deshalb wollte er in diesem Moment nochmals die Fronten klären, obwohl er bereits zu Beginn des Programms betont hatte, dass er eine Rolle spiele, also all das was er in weiterer Folge sagen werde nicht zu ernst zu nehmen sei – zumindest nicht alles. Und ich glaube auf das Moscheenanzünden einschließlich Mord/Genozid trifft das jedenfalls zu.
Im Zuge seines Programms dekonstruierte er mittels vulgärer, politischer Unkorrektheit heuchlerische internationale Gesellschaftsbilder und förderte sie nicht. Seine bis ins groteske überspitzten Darstellungen von Stereotypen wirkten wie Erdbeben auf das Publikum. Denn anders als herkömmliche Comedypersiflagen á la Matze Knop oder Kaya Yanar (die sowohl sexistische als auch ethnische Klischees bewusst oder auch unbewusst – wer weiß das schon so genau – anfeuern und dadurch nicht nur eine Menge Kohle verdienen, sondern sie auch noch gesellschaftsfähig machen) , kommen seine Nachahmungen zwei- oder sogar dreimal. Und zwar in dem Sinne, dass er damit nicht nur die Struktur der Klischees an sich bloß stellt und dadurch insgeheim hinterfragt, sondern auch die, die das Klischee, durch Vorurteile beziehungsweise Verallgemeinerungen, zwecks einfacherem Verständnis komplexer Sachverhalte, stets mit neuerem, oder ällteren Stoff aktuell bzw. aufrechterhalten. Dem Publikum wird ein Spiegel vorgesetzt und es wird herausgefordert, über sich selbst und nicht nur „die Anderen“ zu lachen.
Um auf diesen, für alle Beteiligten, unangenehmen und missverständlichen Moment endgültig den Deckel zu setzen kehrt er in seine Rolle zurück und stellt fest: „Aber bei Juden halten sie sich vornehm zurück!“ Ein Schlag in die Weichteile Vieler, die sich zuvor nicht mehr zügeln konnten, weil er damit wahrscheinlich auch Recht hat. Da somit sämtliche Ungereimtheiten performativ geklärt wurden, weiter im Text bzw. in der Hasspredigt.
Spätestens zu diesem Zeitpunkt hatte es sicherlich in so manchem Zuschauerschädel
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anständig gerattert und etliche neue Synapsen wurden geschaffen. Vielleicht hat sich sogar der Eine oder die Andere ein wenig geschämt, als ihnen ihre eigene Heuchelei auffiel. Was in diesem Fall wiederum nicht nur entschuldbar, sondern eigentlich erwünscht ist. Der Kabarettist möchte ja genau das erreichen. Die zahlende Kundschaft soll ja reflektieren – über gesellschaftliche und politische Prozesse, aber vor allem auch über sich selbst. Es ist also festzuhalten, dass man im Kabarett eigentlich nie ganz falsch liegt, wenn man lacht – danach kann man immer noch behaupten, dass man dadurch eine Improvisation des Künstlers provozieren wollte, oder man die Schlagfertigkeit des Humoristen herausfordern wollte, oder etwas akustisch falsch verstanden hatte, oder so...
Etwas anders gestaltet sich die exakt gleiche Situation auf offener Straße, wie das erste Jahresjubiläum von Pegida, und Rekordumfragewerte vieler rechtsgerichteter europäischer Parteien im negativsten und bedenklichsten Sinne demonstrieren. Denn dort wird offen und bodenständig über exakt die selben Pointen gelacht, wie in Serdar Somuncus Programm. Bis auf den Unterschied, dass die Entertainer (Entertainer deswegen, weil die Inhalte Somuncus oftmals nicht gravierend fiktiver bzw. weniger fundiert sind, als die Fakten der Wutbürger und Somuncu ist ja auch Entertainer...) von Pegida und artverwandten Protestplattformen (Identitären, FPÖ,...) ihre Hasspredigen genauso ernst meinen, wie ihre niveaulosen Scherze. So hatte zum Beispiel Christian Höbart (FPÖ) vor Kurzem die lebensgefährlichen Mittelmeerüberfahrten von Flüchtlingen makaber als lustige Bootsausflüge kommentiert! Indem er seine Meinung zur Flucht abertausender Hilfsbedürftiger in Form eines geschmacklosen sarkastischen Scherzes äußerte, konnte er seine menschenverachtende, rassistische Weltanschauung öffentlich kundtun, ohne Sanktionen, oder dergleichen fürchten zu müssen – es war ja nur ein Scherz und Humor darf alles...
Aber nicht nur die Flüchtlingsgegner, nein, auch die Gegenseite hat seit geraumer Zeit viel Spaß. Ach, wie herzlich doch in vielen Foren, Blogs und Satiresendungen über die Stupidität und Rechtschreibschwäche dieser Einzeller gelacht wurde und wird. Besonders zu Berginn dieser völkischen Bewegung (die Rede ist vom bürgerlichen Wutbürger und einigen „vereinzelten“ offen Rechtsradikalen) wurden deren braunen Mitglieder durch den medialen Kakao gezogen. Das Problem war nur, dass dieser braun in braune Angriff auf die Gutmenschenlachmuskulatur irgendwie übers Ziel hinausschoss, und bei Weitem nicht das bewerkstelligen konnte, was durch humoristische Aufklärungsarbeit vielleicht hätte erreicht werden können. Im Gegenteil, denn die beleidigte patriotische Wählerschaft verbucht entsprechende Meldungen prompt als x-tes Beispiel für die parteipolitisch infiltrierte und gekaufte Lügenpresse. Aufgrund diesen Totschlagarguments, ist seit geraumer Zeit grundsätzlich jegliche faktenorientierte, rationale Diskussion zwischen diesen Bewegungen (Gutmensch (refugees welcome) vs. Nazi (Patrioten)) hinfällig geworden ist („Das behaupten die parteigesteuerten von Juden finanzierten Medien, aber ich habe einen Cousin, dessen Exfreundin kennt jemanden, der mit der Mutter eines Polizisten geredet hat, der vor Ort im Einsatz ist und der meint, dass man sich gar nicht vorstellen kann wie sich diese Wilden aufführen... usw. usf.). Natürlich ist die in sich paradoxe, unüberlegte, ängstliche, ausländerfeindliche und menschenverachtende Ideologie gerade aufgrund dieser Eigenschaften lächerlich, aber eben auch gefährlich. Und gerade in der jüngeren Vergangenheit brachten etwa banale Satiren das Fass der friedlichen interkulturellen und interreligiösen Koexistenz immer wieder zum überlaufen. Ich möchte damit keinesfalls zum Ausdruck bringen, dass man nicht über rechte Hetzer mit Rechtschreibschwäche lachen darf oder sollte – im Gegenteil: gut so, weiter so. Man
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darf über alles lachen, sogar über angespülte Flüchtlingsleichen vermutlich – irgendwo, vor irgendwem... Aber man muss sich im Klaren sein, dass je nach Tatort und oder Brisanz des Themas das Amüsement ein jähes Ende nehmen könnte. Verstehen sie Spaß? Ist nicht nur ein Fernsehformat, sondern nach wie vor eine Frage und nicht jeder versteht ihn in allen Themenbereichen oder Lebenslagen...
Es ist also festzuhalten, dass gerade bei gesellschaftspolitisch heißen Themen lachen wohl überlegt sein sollte.
So schnell wird dir nämlich niemand abnehmen, dass das „lol“ unter dem Video von der ungarischen Kamerafrau, die einem Flüchtling, samt Kind auf dem Arm, das Bein stellt, auf deine Affinität zu Slapstick zurückzuführen ist – selbst wenn das stimmt.
Doch genug von diesen universellen, intersubjektiven „Spaßigkeiten“, bei welchen das „Verlachen“ - ob bewusst, oder nicht – meist nur dem eigenen Ego bzw. der Fremdanschauung schadet – sofern nicht gerade irgendeinem Wahnsinnigen dieses Lachen Grund genug ist, tatsächlich eine Moschee niederzubrennen bzw. schwer bewaffnet und wild um sich schießend die Redaktion eines Satiremagazins zu stürmen. Diese beiden Beispiele sind zugegebenermaßen sehr heftig, trotzdem sind sie in der jüngeren Vergangenheit so oder so ähnlich vorgekommen. Ausgangspunkt für diese absoluten Wahnsinnstaten waren nicht zu Letzt das Veralbern von Werten – religiöser und/oder ideologischer Art – der späteren Täter. Sie fühlten sich persönlich angegriffen und/oder provoziert oder gerade andersherum, nämlich bestätigt in ihrem späteren Handeln.
Situationen in denen ich persönlich immer wieder hadere, ob Lachen angebracht ist, sind Situationen – wie soll ich sagen – intimerer Art. Nehmen wir zum Beispiel an, der beste Freund, oder Freundin, also eine sehr enge Bezugsperson schläft in einer Bar ein, weil er/ sie zu viel getrunken hat, oder so... Irgendwann nach einer Weile kann man ein fortwährendes Tropfen hören und es beginnt unangenehm zu riechen. Dann – es ist nicht zu glauben, aber doch wahr – die komatöse Alkleiche, vermutlich mit Hitlerbärtchen und einem Penis auf der Wange verziert, gibt einen lallenden Laut von sich, bewegt anschließend ihre Hand aus dem Schritt, was auch schon die Quelle des Tropfgeräuschs offenbart. Angepisst wie ein Kleinkind und zwar nicht zum ersten Mal, ja nicht mal zum ersten Mal diesen Monat, wobei gerade erst der 12e ist. Er oder sie ist wirklich ein richtig, richtig guter Freund, stets zuvorkommend, scharfsinnig, großzügig, loyal und für jeden Spaß zu haben.
Den Penis samt Hitlerbart ins Gesicht zu künstlern waren für so manchen Lacher gut und ein legitimer Denkzettel, der mittlerweile in vielen Cliquen schon Tradition hat, aber darf man sich über die alkoholbedingte Inkontinenz lustig machen? Muss man es vielleicht? Die öffentliche Erniedrigung aufgrund des Auslachens könnte ja den Ausschlag geben, dass das Opfer umdenkt. Vielleicht reflektiert der Trunkenbold nur nach einem Wink mit dem Zaunpfahl seinen Alkoholkonsum! Oder ist man dann ein illoyaler Verräter? So Vieles könnte aus diesem Auslachen generieren, vor allem wenn es mehr als einen Lacher, also Zeugen gibt – nicht auszudenken, wenn dann noch irgendeiner, dem Zeitgeist entsprechend, rasch das Smartphone auspackt, damit auch alle 4292 Facebookfreunde daran teil haben und sich auf Kosten deines Kumpanen amüsieren dürfen. Schnell könnte sich das Missgeschick viral verbreiten, was wiederum zumindest einem Menschen, keinen Spaß bereiten dürfte. Und nicht nur das, denn was als spaßige Lektion begann, könnte unter Umständen sein/ihr ganzes Leben umkrempeln. Ob das Trinken wirklich weniger
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wird, sei dahingestellt, wohingegen Schwierigkeiten und Erniedrigungen sowohl am Arbeitsplatz als auch im sozialen Umfeld des Opfers so sicher, wie das Amen in der Kirche sein werden.
Wenn öffentlich festgestellt und besprochen wird, dass man als erwachsene Person neben der Kontrolle über das eigene Trinkverhalten, auch noch jene über das Harnlassen verloren hat, ist das sehr Vieles und veranlasst auch so Manches, aber bestimmt bestätigt es die Betroffene Person in keinerlei Hinsicht. Auch regt es nicht zur Nachahmung an. Jede dahingehende Anspielung beleidigt, erniedrigt und beschämt den Betroffenen, wie Viktoria Beckham kürzlich, oder David Hasselhoff vor etwas längerer Zeit am eigenen Leib feststellen mussten.
Etwas anders verhält es sich mit diversem anderen rauschbedingtem Unfug. Ohne jeglichen Aufwand kann man im Netz etliche verwackelte Clips von jungen und Junggebliebenen Betrunkenen finden, die in guter alter „Jackassmanier“ freiwillig den Kopf in Deckenventilatoren halten oder in Wäschekörben Treppen hinunterrodeln und sich mehr oder weniger schwer verletzen. Die Lacher der Zeugen bzw. die Klicks auf youtube spornen also an. Ist deswegen Vorsicht geboten? Sollte man auch deswegen überlegter Lachen?
Vor einigen Monaten drängte sich mir diese Frage regelrecht auf. Ich hatte einen langjährigen Partybekannten zufällig auf der Straße getroffen und nach dem obligatorischen Small Talk gab ich ihm zu verstehen, dass ich leider weiter müsse. Also lud er mich kurzerhand für den selben Abend zu sich nach Hause ein. Da das Gespräch nicht ganz uninteressant war und ich noch nichts vor hatte, willigte ich ein. Ich versprach mir einen lustigen und, um nicht zu lügen, auch einen berauschten Abend. Wenn man mich
1 nämlichnachdemmarkantestenMerkmalSilvios gefragthätte,wäremeineAntwort
gewesen, dass er immer am Gas war – im positivsten Sinne.
Mit etwas Verspätung klopfte ich schließlich gegen 18 Uhr an seine Türe. Herzlich bat er mich herein, umarmte mich zwei oder auch dreimal, wobei er aber irgendwie den Anschein machte, dass er mit meinem Kommen nicht wirklich gerechnet hatte. Womöglich war ihm die Einladung einfach entfallen. Trotzdem zog er mit hastigen Worten und Bewegungen alle Register der Gastfreundlichkeit.
„Du kannst die Schuhe gerne anbehalten! Was willst du trinken? Du kannst dich schon mal ins Wohnzimmer setzen und ich hole dir mal ein Glas Wasser!“, sprudelte es aus ihm heraus.
Ich bedankte mich und ging ins Wohnzimmer. Dort saß ein Kollege Silvios, den ich bisher noch nie gesehen hatte. Er dürfte ungefähr zehn Jahre älter gewesen sein als Silvio, also ca. 40, wobei man das bei Gasgebern nie so genau sagen kann. Und man sah ihm schon an der Nasenspitze an, dass selbige mit mehr Geldscheinen in Berührung gekommen war, als meine Geldbörse. Ich sollte mich nicht irren. Freundlich und kurzzeitig breit grinsend, also so lange bis die Nebenwirkung irgendeiner Substanz in seinem Blutkreislauf wieder die Kontrolle über seine Gesichtsmuskulatur übernahm, stand er wie von der Tarantel gestochen auf, um sich als Elias2 vorzustellen. Silvio kam nervösen Schrittes zu uns,
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Name geändert. Name geändert.
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stellte uns gegenseitig vor. Auf den Hinweis, dass wir uns bereits miteinander bekannt gemacht hatten, reagierte er überhaupt nicht. Stur ratterte er seinen Text herunter. Ohne Punkt und ohne Komma.
Als er doch kurz Luft holen musste, erkundigte sich sein Kumpel, ob ich „cool“ sei. Silvio bejahte, woraufhin Elias einige Briefchen aus seinen Fäusten zauberte. Dann fragte er etwas detaillierter, wie cool ich sei und Silvio gab ihm abermals zu verstehen, dass alles in Ordnung gehe, er – also ich – selbst zwar nicht mitmache, aber genauso keinen Stress. „Was nicht mitmache? Sag du mir nicht was ich mache und was nicht!“, dachte ich mir. Gleichzeitig versuchte ich mir auszumalen, wobei ich denn nicht mitmachen werde, bzw. keinen Stress. Vögeln die gleich? Oder üben ein Duett? Ausdruckstanz? Egal! Ich wusste ja, dass ich es wahrscheinlich in Kürze erfahren sollte. Und ich wusste auch, dass in diesem Moment ein Bier bestimmt alles andere als ein Fehler sein würde. Ich bot auch den beiden jeweils ein kaltes Schwechater an, das sie auch sogleich annahmen. Nachdem angestoßen und der erste Schluck geschafft war, zauberte Elias, genauso plötzlich und unauffällig wie zuvor bereits die Briefchen, sein Spritzbesteck, bestehend aus Gummiband, Löffel, Zippofeuerzeug und na no na einer Spritze, auf den Tisch. Jetzt war mir auch klar wobei ich nicht mitmachen würde. Silvio tat es ihm gleich und eines der (sur-)realsten Erlebnisse meines Lebens nahm seinen Lauf.
Fortan hatte ich kaum mehr was zu melden. Die Beiden hatten es scheinbar irgendwie geschafft die Frequenzen meiner Stimme, je nach Belieben an- und abzuschalten.
Oder verschluckten Alice in Chains (ich weiß das klingt nach Klischee, aber es war halt so...), die im Hintergrund recht laut abgespielt wurden und dieses für mich unwirkliche Spiel, wie eine Filmkulisse verkitschten, meine Worte? Eher nicht, denn sonst hätten sie mir etwas später zugehört, nachdem Silvios Mitbewohner fluchend und schimpfend ins Wohnzimmer gestürmt war, die Anlage leiser drehte und wieder verschwand. Ich bemühte mich nicht sonderlich lange darum angehört bzw. wahrgenommen zu werden, sondern lehnte mich mit meinem Bier zurück und schaute.
Der Ledersessel, ein wunderschönes Designerstück aus den 70er Jahren, den man mir als Sitzplatz angeboten hatte, war für mich, was dem Jäger sein Hochstand – ich konnte einfach alles überblicken, ohne, dass ich visuell wirklich wahrgenommen wurde (zuhören wollte mir ohnehin keiner, wie gesagt...) Ich habe im Nachhinein immer wieder über diverse Aspekte dieser Erfahrung nachgedacht. Unter anderem auch darüber, was das Geschehene in ein Wort gefasst gewesen war? Der einzige Begriff, der mir annähernd angemessen erschien lautete „Junkieslapstick“.
Sie saßen sich gegenüber, was augenscheinlich nur akustische Vorteile hatte, denn nur selten kreuzte ein Blick den anderen. Meist beschäftigten sie sich mit dem Erhitzen („Auskochen“ wurde mir nebenbei erklärt) von verbogenen, sichtlich gebrauchten Löffeln, worin sich „der Schnee, auf dem wir alle talwärts fahren“ (Falco, „Der Komissar“ aus dem Album „Einzelhaft“, 1982.), befand.
Hochkonzentriert beobachteten sie die Löffelinhalte. Just in dem Moment, als der Inhalt vollständig aufgelöst war, wurde der Löffel von der Flamme entfernt und kurz beiseite gelegt (Die Löffel wurden also verbogen, damit beim Beiseitestellen nichts verschüttet wird, verstand ich allmählich), um das bereits locker um den Arm gelegte Band am Oberarm zu fixieren. Dann musste nur noch die Pumpe (ein Vokabel, das ich lernen durfte – heißt nämlich Spritze) aufgezogen werden und ihr Inhalt in eine geeignete Vene initiiert. Und Voilá: Der Rausch konnte beginnen.
Kurz nach jedem Schuss (ich hoffe damit verrate ich nicht zu viel, aber es blieb nicht bei einem) rissen sie kurz die Augen auf (dann trafen sich auch manchmal ihre Blicke...), dem
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folgte ein leicht dämliches Grinsen, das nach wenigen Sekunden in einen Merkelmund (leicht geöffnet mit nach unten hängenden Mundwinkeln) transformierte. Dabei näherten sie ihre Rücken langsam der Rückenlehne ihrer Sessel an und schlossen die Augen. Wenige Sekunden verweilten sie in dieser Position, teilweise begannen sie etwas zu Sabbern, oder kratzten sich.
So richtig absurd und grotesk wurde es erst nach den ersten zwei bis drei Schüssen, als die stimulierende, motivierende Wirkung der Droge einsetzte. Angefangen hat die Show, als Elias auf dem Höhepunkt des Wohlbefindens nach einem Schuss – Augen auf Halbmast, Mund leicht geöffnet, Kopf nach hinten an die Wand gelehnt – ausgerechnet seinen linken Arm kratzte, in welchem, wie ein überreifer Apfel, noch immer die Spritze baumelte. Mit einem lauten Schrei sprang er auf und das medizinische Instrument flog zu Boden. Der erschrockene Silvio tat es ihnen unbeabsichtigt gleich, also Elias und der Spritze. Mit weit aufgerissenen Augen und schweißnasser Stirn brüllte der am Boden Liegende den anderen an, der nicht genau wusste, was überhaupt und in welcher Reihenfolge passieren sollte bzw. passiert war, weshalb er Scheiße rufend mehr oder weniger im Kreis rotierte. Wie Ameisen – genauso schnell und immer die selben Wege abgehend - tippelten sie durchs Wohnzimmer: auf und ab und auf und ab und auf und ab. Wonach sie Ausschau hielten, wussten sie etappenweise selbst nicht mehr so genau. „Äääääaahmmm – genau die Gun (ein Synonym für Spritze in der Szene), wo is sie bloß hin verdammt!“, kommentierten sie abwechselnd.
Das vom Kratzmissgeschick geweitete Injektionsloch blutete erstaunlich gering und musste nicht weiter verarztet werden. Weniger der Schmerz, als der Schock saßen tief in Elias, weshalb er sofort einen Beruhigungsschuss brauche. Silvio, der noch immer, wie ferngesteuert durch die Wohnung rauschte, stimmte ihm nickend zu. Aber da war ja noch was? Genau ohne Spritze keinen Schuss für Elias – was Silvio wenig interessierte, denn er hatte ja seine. Elias kroch letztlich fluchend, wie ein Dachdecker bei 35 Grad im Schatten und schneller als ein Komodovaran über das Parkett bis er sie, Gott dankend, unter der Couch auch fand.
Hastig, scheinbar um seinem Kompanen in Sachen „fett sein“ nicht nachzuhinken und um die Qualität seines Produkts nochmals zu unterstreichen, verzichtete er auf das Aufkochen. Stattdessen gab er das Material samt etwas Flüssigkeit direkt in die Spritze, schüttelte das Ganze einige Sekunden heftig durch und zeigte es Silvio:
„Siehst, des is so rein, des musst nit amol aufkocha!“
„Poah, heftig!“, meinte Silvio sichtlich imponiert mit zusammengekniffenen Augen.
Mein Einwand, als Frage getarnt, um nicht wie ein Klugscheißer dazustehen: „Ich bin ja kein Arzt oder so. Aber ist es nicht durchaus möglich, dass Partikel der Droge, oder irgendeines Streckmittels, die mit freiem Auge nicht sichtbar sind, zur Verstopfung der Blutbahn führen könnten und hat das Aufkochen nicht auch noch irgend einen anderen Sinn?“ Barsch murmelte mir Elias zu, dass sein Zeug nicht gestreckt sei, weil direkt aus Südamerika. „Und jetzt muaß i mi konzentriere...“ Mit merklich routinierten Handgriffen bereitete er seinen Arm für die nächste Penetration vor.
Plötzlich, abermals ein Aufschrei von Elias, bevor er meint: „Du Trottel hast alles daneben gschossn!! Was tuast denn!“ Aufgrund der hysterischen Fassungslosigkeit, die in seinen Worten unüberhörbar mitschwangen, glaubte ich schon an ein lebensgefährliches Malheur Silvios. Mein Blutdruck erhöhte sich noch mehr wegen Silvios fortwährendem unverständlichem Fluchen, während er wieder hektisch durch das Wohnzimmer marschierte, den Blick auf seinen Arm gerichtet. „Scheiße, Scheiße, Scheiße, da geat da
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gonze Kick verloren, scheiße, scheiße, scheiße...“, hörte ich heraus.
„Okay, okay.... Nur kein Kick für den Herrn – naja, gibt Schlimmeres...“, dachte ich mir. „Kriegst wieder an Abszess du Vollkoffer! Musst mehr aufpassen! Du musst die Vene scho finde bevur da wos gibst!“, belehrte Elias seinen Kumpel. Als der Schreck langsam nachließ, öffnete ich mir meine zweite Büchse Bier und dachte mir nur, dass der Vorteil als Trinker in jedem Fall ist, dass wenn was daneben geht nur die Klamotte einen Fleck abbekommt – wenn überhaupt. Die ganze Situation war einfach absurd.... Bin ich ähnlich wie der Junge in „Last Action Hero“ über unerklärliche magische Wege in den Film Weirdsville geraten? Warum Weirdsville und nicht „Deep Throat“ ärgerte ich mich kurz und lachte dabei wohl hörbar. Was denn so lustig sei, wurde ich gefragt, worauf ich antwortete, dass ich gerade einen, wie ich meine, lustigen Gedanken hatte, den ich dann auch ausführte. Zumindest versuchte ich es, aber schon bald hörte mir offensichtlich wieder keiner der Beiden mehr zu. Nach einigen Momenten ohne Konversation meinte Silvio: „Last Action Hero war a cooler Film. Keine Ahnung in welchen Film i mi wollen würde? Flipper vielleicht – dauert länger und an Delphin als Kolleg habe, das wär scho was... Oder Zurück in die Zukunft wär a a Möglichkeit...“ Dass es mir mit meinen Gedanken zuvor weniger darum ging die Fähigkeit zu haben in eine Filmwelt einsteigen zu können, als darum, dass ich mich soeben gefühlt hatte, als ob dies gerade der Fall wäre, wurde von keinem weiter diskutiert.
Elias war wieder nach einer Ladung. Eng zurrte er den Gurt um seinen Arm und ballte seine Hand immer schneller und heftiger zur Faust, doch es zeichnete sich keine Vene ab (Drogensüchtige, die intravenös konsumieren, haben häufig das Problem keine Vene mehr zu finden). Er versuchte es weiter mit dem anderen Arm, mit dem Bein oder nur der Hand bzw. dem Fuß, doch nichts – keine brauchbare Vene zeichnete sich ab.
„Ja mach halt an Hubschraubar!“, meinte Silvio in einem verständnislosen Ton, wie man jemandem „Drüüücckkkennn!“ zuruft, nachdem dieser ohne Erfolg an einer Türe gezogen und gezerrt hatte.
Nicht nur ich, sondern auch Elias verstand nur Bahnhof. „Huuubschrauuuubaaaaar!!!“, verdeutlichte Silvio und schwang dabei seinen Arm, wie es Sportler beim Aufwärmen machen. Prompt standen Beide im Zimmer und machten den „Hubschraubaaar“. „Reicht ́s jetzt?“, fragte Elias. „Des siehgschtt ja, du Trottel! Vene da alles klar, wenn nein hau länger rein!?“ Nach kurzer Inspektion seines Armes, packte er die vorbereitete Gun (Wieder Slang für Spritze) und jagte sie in seinen Handrücken nahe des Daumens.
„Du Vollkoffer! Jetzt hast ́s a daneben gjagt!“, kicherte Silvio schadenfroh. Elias ärgerte sich noch immer über das „verschossene“ Rauschmittel und entschied, dies nicht auf sich sitzen zu lassen. Er packte ein weiteres Briefchen, da das Erste schon leer war, wobei ihm auffiel, dass eines fehlte.
Panik, Misstrauen, Zorn, Verzweiflung, Stress und Hektik machte sich breit. Jeder Becher, jede Dose, jede Zeitschrift, jeder Pullover, jeder Polster – schlichtweg alles, was man irgendwie umdrehen kann, wurde umgedreht. Und wieder umgedreht; und wieder umgedreht; Die Jackentaschen, Hosentaschen und Socken umgestülpt und gleichzeitig immer ein Auge auf den jeweils Anderen gerichtet. Misstrauen flackerte in Elias Augen. Laufend versuchte ich mich bemerkbar zu machen, wurde aber, bevor ich auch nur eine Silbe ausgesprochen hatte, in strengem Ton (erstmals an diesem noch jungen Abend) darauf aufmerksam gemacht, dass jetzt nicht die Zeit zum Quatschen sei und ob ich auch nur im Geringsten eine Ahnung hätte, was das Zeug kostet, das verloren gegangen war. Also schaute ich weiterhin zu. Bis es mir irgendwann zu blöd wurde und Elias laut, kurz und vor allem entschlossen, vorschlug in seiner linken Handfläche nachzusehen. Und
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siehe da: Gefunden. „Danke, danke, aber warum hast des denn nit früher gsagt. Lässt uns da ewig rumsuchen! Wia Trottl....“
Bevor Elias sich wieder ans Kochen machte, nahm er meine Hand und legte sie auf seinen Handrücken: „Spürst des? Wie warm des wird... Wegen der Entzündung vom vorbeischießen, weißt!“, erklärte er mir, wie ein Schulmeister. Ich nickte und versuchte beeindruckt drein zu schauen, während ich eigentlich schnellstmöglich meine Hände waschen wollte. Ich leerte die letzte Hälfte meines Bieres ohne Abzusetzen und verabschiedete mich mit der Entschuldigung, noch eine Verabredung zu haben. Mit herzlichen (in diesem Moment bzw. Zustand wohl auch ernst gemeinten) Abschiedsumarmungen und dem gegenseitigen Einverständnis dieZusammenkunft in dieser Form öfters zu wiederholen, verabschiedeten wir uns. Das Verlassen der Wohnung und des Hauses, fühlte sich an wie das Verlassen eines Kinos. Ganz kurz spielte sich vor meinem inneren Auge gar ein Filmabspann ab: Sie sahen „Laurel und Hardy im Kokainrausch“ in den Hauptrollen Silvio als...
Es dürfte kurz vor neun gewesen sein zu diesem Zeitpunkt, da gerade die Sonne unterging. Ich war also knapp eine dreiviertel, vielleicht auch eine Stunde zu Gast. Ich zündete mir eine Zigarette an, setzte meine Kopfhörer auf und machte mich zu Fuß auf den Heimweg, da dieser wunderschöne Sommerabend förmlich dazu einlud. Dabei ließ ich das Geschehene immer wieder Revue passieren.
Mein langjähriger Bekannter und auch sein Kollege waren alles andere als unfreundliche Zeitgenossen, oder ansonsten in irgendeiner Form unsympathisch bzw. aufdringlich. Ein nein zur Droge war ein nein und wurde als solches auch akzeptiert und nicht versucht irgendwie auszuhebeln – sprich ich wurde zu nichts genötigt. Sie beide waren einfach in Ordnung, aber halt sowas von drüber, dass die Absprunghöhe von Felix Baumgartners legendärem Sprung beinahe lächerlich niedrig wirkte – und die Beiden mussten vor Allem ohne Fallschirm wieder runterkommen.
Allein beim Gedanken an die diversen Dialoge und zahlreichen skurrilen Missgeschicke ertappte ich mich immer wieder beim Schmunzeln. Nahezu ohne Zeitverzögerung machte sich dann aber ein unwohles Gefühl in meiner Magengegend breit, das mir zu verstehen gab, dass – bei aller Situationskomik – das Schauspiel an sich alles andere als ein Brüller war. Es ging schließlich um Menschen, die genauso Gefühle, Träume, Schmerzen und Ängste haben und das worüber ich gerade gelacht hatte, ist konsequent zu Ende gedacht Selbstmord auf Raten.
Besonders, als ich Wochen später zufällig Silvio traf und erfuhr, dass am selben Abend, im Zuge eines Freudentanzes, zu Ehren einer besonders „coolen Nummer“ von den „Rolling Stones“, ein weiterer Unfall passierte. Elias hatte durch eine schnelle und plötzliche Bewegung versehentlich so heftig auf die Nadel der Pumpe (ein weiterer Szenebegriff für Spritze) in Silvios Hand tatschte, sodass diese abbrach und nicht mehr aus dessen Finger zu bekommen war. Er ging aus Gründen der Scham, erst Tage später zum Arzt, weshalb er beinahe seinen Finger verlor. Außerdem mussten Beide kleinere operative Eingriffe, aufgrund ihrer Abszesse durchführen lassen.
Die einzelnen Situationen, oder Eskalationen für sich sind mit Sicherheit auf zynisch, sarkastische Weise lachbar. Das ganze Geschehen insgesamt aber nicht, denn so ähnliche Partys kostete beide zahlreiche schmerzhafte Verletzungen, Operationen und Narben; daneben etliche Monatslöhne, Jobs und Mieten; genauso wie Beziehungen zu Freunden, Partnerinnen und Familienmitgliedern. Und, was womöglich das Tragischste ist, auch eine wirkliche Lebensperspektive und ihre Freiheit.
Wenn man all das weiß, ist es dann angebracht zu lachen?
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Wie soll man also wissen, ob Lachen uneingeschränkt angebracht, oder sogar die einzige richtige (Re-)Aktion ist und welche Situationen erfordern mehr ernst, oder einfach mehr an sich?
Alle vorangegangenen Beobachtungen und Schilderungen haben gemein, dass man na no na irgendwie darüber lachen kann. Weiters ähneln sie sich gegenständlich, da immer über das Fremde und weniger das Eigene gelacht wurde. Was ein enormer Unterschied ist, denn es hinterläßt doch einen anderen Eindruck, wenn Serdar Somuncu (hat türkische Wurzeln) mit dem abfackeln von „mit Türken vollgestopften Moscheen“ unterhaltet, als wenn das Mario Barth machen würde.
Was bereits oben genannt wurde, ist der Ort.
Das Kabarett ist an und für sich eine andere Baustelle, als eine öffentliche Kundgebung. Judenwitze haben in Ausschwitz mit Sicherheit nichts zu suchen, auch wenn Serdar Somuncu oder Oliver Polak die Vortragenden wären. Oder wäre es doch in Ordnung? Unter gewissen Umständen vielleicht... Aber Judenwitze – und ich gebrauche den Begriff bestimmt nicht abfällig – sind eine eigene Kategorie, wie auch Witze über andere Minoritäten.
Besondere Vorsicht sei auch geraten im eigenen sozialen Umfeld. Lachen ist nämlich nicht nur lachen, denn es kann neben bestätigen, oder provozieren, auch manipulieren. Man lauscht beispielsweise den Lieblingswitz einer Person, der man näher kommen möchte. Die Pointe wurde kaum ausgesprochen beginnt der Brustkorb im Takt deiner Lachlaute zu wippen, Tränen werden aus den Augenwinkeln getupft und die Handfläche auf den eigenen, oder irgendeinen fremden Oberschenkel geklopft. Egal, ob verstanden oder nicht, ob lustig oder nicht, man möchte seinem Gegenüber ja gefallen und nicht als schmähfrei oder doof verstanden werden.
Besonders paradox empfand ich die Situation bei meinem drogenkranken Kameraden von früher. Wie bereits weiter oben beschrieben, glich das Ganze mehr einer Slapsticknummer, als der medial vermittelten Drogenhölle. Der Tod im Clownpelz?! Hätte ich bei jeder einzelnen skurril komischen Tätigkeit, oder Unterhaltung der Beiden nach außen so gelacht, wie in mich hinein, wäre der gegenseitige Umgang auf Augenhöhe womöglich flöten gegangen. Mir erschien es richtig, entgegen meinem Instinkt der das Schenkelklopfen forderte, in dieser Situation sensibel zu agieren, um den Respekt, als auch das positive Verhältnis zu meinem Bekannten aufrechtzuerhalten. Aller Wahrscheinlichkeit hätten sie sich andernfalls, verständlicher Weise ausgelacht beziehungsweise in so manchem bestätigt, gefühlt. Nicht zu vergessen ihre progressive Bewusstseinsveränderung, infolge derer Alles und Nichts noch passieren hätte können (die Spritze im Finger reicht also).
Unumstritten ist jedenfalls, dass besonders wichtig ist wie man lacht. Frei nach dem Sprichwort: „Der Ton macht die Musik!“
Lachen ist seit Anbeginn des digitalen Zeitalters endgültig nicht nur mehr eine instinktive Handlung (siehe Emoticons), sondern kann wohlüberlegt, gezielt und/oder manipulativ genutzt werden Lachen kann provozieren; kann bestätigen; kann solidarisieren; kann schockieren; kann aufrütteln; kann ehrlich und unehrlich sein; kann ein Indikator für Schadenfreude, aber auch Zuneigung, Dankbarkeit, Treue, Glück, und Liebe sein. Ausschlaggebend ist die Intention des lachenden Individuums, und wie es diese transportiert, genauso wie es auch bei sarkastisch, ironisch oder zynisch gemeinten Kommentaren darauf ankommt, dass sie auch als solche erkannt werden. Ansonsten kann sich die Wirkung ins Gegenteil verkehren.
S.1!0/11
Bertram Schrettl Darf man trotzdem Lachen?
Bewusstes, aktives Lachen, welches unter anderem durch die Fantasie und Vorstellungskraft von Kulturschaffenden generiert wird, ist eine Waffe, die, sofern sie auf das richtige Ziel gerichtet wird, extrem wirkungsvoll sein kann. Denn man möchte ja nicht Mitglied einer lächerlichen Bewegung sein. Ich persönlich würde es schrecklich finden, wenn der Humor, beziehungsweise die Gegenstände über die man sich lustig machen darf, zensiert würden – wie es nach wie vor in vielen Regionen der Welt der Fall ist. Man kann dazu auch andere Meinungen vertreten, wie beispielsweise der Angriff auf Charlie Hebdo dieses Jahr explizit aufgezeigt hatte. Dieser Akt blinder Gewalt ist zwar ohne Zweifel tragisch, aber simultan ein Symbol für die Macht des Humors.
Also lasst es uns sinnvoll nutzen, aber noch mehr genießen.