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ERst kOMmt  daS FreSSeN,
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Alle auf einmal, bestenfalls alle zugleich und jedenfalls schnell und sowieso ohne viel tamtam. Vier auf einen Streich sozusagen – ganz in der Tradition des „tapferen Schneiderleins“, nur etwas bodenständiger hinsichtlich der Menge! Diese Vier sind nicht verhandelbar. Ob eine fehlt, drei oder eventuell zwei zusätzlich dabei sind, ist absolut powidl. Dann müsste ich Wohl oder Übel eine Woche zuwarten. Die Chancen stehen nicht so schlecht, schließlich parken ihre PKW ́s allesamt noch hier in der Tiefgarage. Außerdem ist heute Montag und am Montag ist immer Redaktionsschluss, das heißt, bis spätestens 16 Uhr sollte die dieswöchige Ausgabe druckfertig im Posteingang der Druckerei eintrudeln. Im Moment herrscht wahrscheinlich, genauso wie jeden Montag um 15.50 Uhr, hysterisches Treiben in den Büroräumlichkeiten, der kleinen, dafür aber umso langweiligeren Wochenzeitung.

Unbehagen macht sich in mir breit, rollt wie eine Welle von meinen Zehen bis hinauf in die Haarwurzeln, wobei ein ekelhaft bitterer Geschmack zurückbleibt. Augenblicklich wird mir kotzübel und mein Schädel brummt. Ich fühle mich plötzlich fast so, als ob ich von einer großen Last erdrückt werde, als ob mir die Luft zum Atmen genommen wird, ja so als ob ich selbst wieder die Redaktionsleitung inne hätte. Mein Gedärm krampft bei dem Gedanken. Ich kann nichts mehr halten. Mein Magen mitsamt Inhalt stülpt sich über die Speiseröhre in den Rachen und platscht wie ein nasser Sack weiter direkt auf den Beifahrersitz – zumindest empfinde ich es so. Ich war eigentlich davon überzeugt, dass ich dieses Kapitel meines Lebens abgeschlossen hätte und das unbehagliche Gefühl in der Magengrube los geworden wäre. Aber der säuerlich stinkende, schaumig, gelbe Auswurf, der knisternd vom Schaumstoff des Sitzes aufgesogen wird belehrt mich eines Besseren. Die traumatischen Ereignisse von einst sind hartnäckiger in die Verästelungen meiner Erinnerungen verstrickt, als angenommen. Das Erbrechen war eine psychosomatische Reaktion, motiviert vom Unbehagen. Einige wenige Reize, die an damals erinnerten, genügten dem in mir schlummernden Graus, um körperliche Reaktionen zu erzwingen. Es (das Unbehagen, der Graus,...) war Motiv und Produkt des Kotzens zugleich. Dieses unheilvolle letzte Jahr, das so vielversprechend begann, entwickelte sich von einer entspannten Tretbootfahrt zu einer diabolisch surrealen Odyssee.

Während ich paralysiert auf das Erbrochene starre, gestehe ich mir

zum ersten Mal ein, dass mich die untergriffigen Verleumdungen physisch und psychisch konditioniert haben. Mein Unterbewusstsein erzwingt eine körperliche Reaktion auf Reize, die an die Ereignisse von damals erinnern und will mich somit schützen.

Eine weitere Welle des Unbehagens flutet meinen Organismus. Ich atme langsam durch meine zusammengebissenen Zähne ein und durch die Nase wieder aus. Nach einigen Wiederholungen habe ich es geschafft eine noch größere Sauerei abzuwenden. Rasch ziehe ich einen Leibwächter aus meiner Tasche exe ihn, verpasse mir selbst drei Ohrfeigen, öffne das Fenster, stecke mir eine Zigarette an und stürze sogleich einen weiteren Leibwächter hinunter. Das tat gut. Die heilende Wirkung der Kräuter des beliebten Likörs bannen den akuten Reflux und neutralisiert den widerlichen Geschmack der Magensäure. Die Ohrfeigen fegten die verstaubten Gedanken und unwiderruflichen Erinnerungen rund ums Unbehagen fort. Beinahe boshaft amüsiere ich mich nun über den besudelten Beifahreranteil des Cockpits. Ich muss ihn schließlich auch nicht säubern.

Extra für diesen Anlass hatte ich nämlich den Ford Pickup vom Bezirksoberjäger gestohlen, der, wie jeden Montag Nachmittag am Stammtisch beim Kirchenwirt Karten spielte. Er war dermaßen auf sein Blatt und ansonsten maximal auf sein achtes Weißbier fixiert, dass ich mir keine Sorgen machen musste beim Klauen des Autoschlüssels ertappt zu werden. Ich stibitzte ihn aus dem Jägermantel, den er achtlos über die Lehne eines freien Sessels geworfen hatte. Ich setzte mich daneben, also neben den Mantel – der Rest bedarf wohl keiner Erklärung!?

Hmmmm... Mittlerweile ist 17 Uhr durch. Ausgerechnet heute scheint es wohl Probleme zu geben? Aber noch besteht kein Grund zur Panik. Geduld und Gelassenheit danach sollte ich künftigstreben. Ach was gäbe ich dafür diese Tugenden inne zu haben. Ich bin gestresst. Selbst eine mickrige Minute des Wartens generiert in meinem Kosmos zur unendlich quälenden Geschichte. Darum versuche ich im Alltag Warten zu vermeiden, indem ich stets ein Buch, einen Notizblock und Stifte mit mir führe. Beim Warten tritt zu Tage, dass Zeit relativ ist. Beim Warten, ist man mit sich selbst be...

Moment, da war was zu hören! War das nicht der? Nein! Oder doch? Genau, das war die Stimme des Aufzugs. Ich meine natürlich die elektronische Stockwerksansage, die angab: „Erstes Untergeschoss, Tiefgarage.“ Soweit so gut, aber haben denn auch die richtigen Passagiere das erste Untergeschoss erreicht? Ja, ich

kann die Trampel eindeutig durch die Glastüre erkennen. Kommt schon, nur noch eine Türe weiter vom Stiegenhaus in die Garage und dann. Perfekt da präsentieren sie sich schon wie auf dem berühmt berüchtigten Silbertablett. Sie besprechen noch was zu Ende, wenn ich mich nicht irre, und zwar nur wenige Meter vor mir. Sarah redet natürlich – die Lauteste und gleichzeitig Dümmste der Vier. Ich bin nervös, meine Hände sind schweißnass. Hastig lasse ich den Motor an. Das Fernlicht ist direkt auf sie gerichtet. Sarah quasselt unbeeindruckt weiter, nimmt kaum Notiz von mir. Die anderen drei werfen einen Blick in meine Richtung, widmen sich dann aber alsbald wieder der quäkenden Redels- oder Rudelsführerin. Ihre Lippen schlagen im Takt eines gekonnten Trommelwirbels auf und ab. Luft bezieht sie gar nicht, oder aber über geschickt versteckte Kiemen – anders kann ich mir das nicht erklären. Scheint fast so, als wüsste sie Bescheid, als nütze sie die letzte Gelegenheit, um auch noch den allerletzten Blödsinn von sich zu geben. Ich drücke aufs Gas, woraufhin der Motor laut aufheult. Augenblicklich wird mir ihrer aller volle Aufmerksamkeit zuteil. Sie starren mit zusammengekniffenen Augen gegen das Scheinwerferlicht auf mein kraftvolles grünes Vehikel. Ich schalte in den ersten Gang und gebe abermals Vollgas. Die Reifen drehen erst laut quietschend durch, bevor sie den notwendigen Grip finden. Die Gruppe bleibt wie angewurzelt stehen, als mein Wagen auf sie zuschießt, wie ein weißer Hai auf eine lädierte Roppe. In wenigen Bruchteilen einer Sekunde erfasse ich jede einzelne. Je nachdem werden ihre Körper über die Motorhaube, und Windschutzscheibe hinauf an die Decke und dann zu Boden geschleudert oder unter das Fahrzeug und in die Radkästen gezerrt. Ein dumpfer Knall, wildes Poltern, sowie das Knacksen und Knirschen berstender Knochen begleitet das chaotische Spektakel akustisch. Der biogene Untergrund gibt unter dem Gewicht des 4x4 wie überreife, gelbköpfige Pickel nach. Sofort nachdem Zusammenprall muss ich anständig in die Eisen treten, sodass ich nicht mit vollem Karacho in eines der geparkten Autos krache. Als der Wagen zum Stehen kommt stelle ich den Motor erst gar nicht ab, sondern werfe sofort einen Blick in den Rückspiegel und stelle fest, dass sich hinter mir nichts und niemand rührt. Ich vernehme allerdings ein leises Wimmern, das ich zwar nicht zuordnen kann, aber ernst nehme. Also schlachte, ich meine schalte ich in den Rückwärtsgang und bringe im Schritttempo zu Ende, was ich in jedem Fall nicht mehr rückgängig machen kann. Meine Opfer liegen direkt unter einer Halogenröhre und so ist es mir möglich das Ausmaß des Crashs

genau unter die Lupe zu nehmen. Die Szenerie wirkt wie ein humanoides Mikado Spiel. Abgetrennte Extremitäten ranken unordentlich zwischen den leblosen Rümpfen hervor. Der Kopf der einen und der Brustkorb der anderen Redakteurin sind nur noch Matsch. Der Schädel Sarahs zeigt mit dem Gesicht in meine Richtung – ihr Mund und ihre Augen, wie sollte es auch anders sein, weit aufgerissen. Ich zünde mir wieder eine Zigarette an, nehme ein paar Züge und beobachte durch den tänzelnden blauen Dunst hindurch wie sich das Blut um die Kadaver herum immer weitläufiger ausbreitet. Eine morbide Insel in einem See aus Blut und Fäkalien. Zufrieden lenke ich meine stark ramponierte Massenvernichtungswaffe in aller Ruhe aus der Garage auf die Landstraße hinaus.

Ein letzter spätsommerlicher Herbsttag neigt sich dem Ende zu. Die letzten Sonnenstrahlen hüllen die provinzielle Landschaft in güldenes Licht und zaubern mir das zufriedene Lächeln eines buddhistischen Mönches ins Gesicht. Das Adrenalin macht mich ganz hibbelig, also drehe ich das Radio an und bewege mich sogleich zu den Rhythmen. Ein für den Alpenraum typischer Schlager, in dem also von den erhabenen Bergen, der feschen Dirndln und anderen regionalen Klischees gejodelt wird, dröhnt aus der Anlage. Meiner Euphorie und dem eindringlichen Text ist es geschuldet, dass ich sofort mitgrölen kann.

Ein Gefühl zwischen bittersüßer Aufregung und lustvoller Angst war seit heute morgen kontinuierlich angestiegen und vereinnahmte mich dermaßen, dass ich doch glatt auf ́s Essen vergessen habe. Nun habe ich allerdings einen Bärenhunger. Vegetarischen Döner hatte ich schon länger keinen mehr. Ob mein alter Schulfreund Altan den Imbiss „Döner Bosporus“, den sein Vater in den späten 90er Jahren aufgebaut hatte, nun übernommen hat oder doch nicht, interessiert mich eh schon seit längerem.

Ich bin seit Jahren Vegetarier. Zum Mörder wurde ich erst vor Kurzem.
Aus ethischen Gründen verzichte ich kompromisslos auf Fleisch. Ich mag Tiere per se. Eine kurze Reportage, die den Werdegang vom „Schweinderl zum Schnitzerl“ thematisierte, war für meinen Entschluss ausschlaggebend gewesen. Für den Entschluss Vegetarier zu werden, natürlich. Die darin gezeigten Aufnahmen brannten sich unauslöschlich in mein Hirn ein und lassen mir heute noch übel werden. Verängstigte Tiere, die erst durch Stockschläge in den und nach einer mehrstündigen Fahrt, bei Temperaturen weit

unter dem Gefrierpunkt, wieder aus dem Viehtransporter in einen Schlachthof getrieben worden waren, bekam ich damals im TV zu sehen. Von außen war der Schlachthof kaum von einer herkömmlichen Industrieanlage zu unterscheiden gewesen. Es waren offensichtlich Aufnahmen aus einer modernen Tierfabrik. „Mitteleuropäischer Standard!“, wie der Betreiber im Beitrag stolz erklärt hatte. Wie dem auch sei, jedenfalls hatten ein paar dieser gemästeten Kolosse schon den beschwerlichen Weg, eingepfercht zwischen ihren Artgenossen, nicht überstanden. Woran sie gestorben waren, konnte nicht bestimmt werden, weil Teile ihrer Kadaver von den anderen Schweinen bereits verspeist worden waren. Der Kannibalismus beschränkte sich aber nicht nur auf die toten Tiere, denn etlichen Ebern und Säuen fehlten Teile ihrer Ohren oder der charakteristischen Ringelschwänzchen. Nachdem sie mithilfe von Lärm und Schlägen, durch diverse immer kleiner werdende Schleusen getrieben worden waren, endete die Hatz in einer kleinen Gaskammer, in der die Tiere mittels CO2 betäubt wurden. Jene, die perdu nicht das Bewusstsein verlieren wollten, bekamen abermals den Knüppel zu spüren, bis das Blut spritzte und sie keinen Laut mehr von sich gaben. Alles weitere erfolgte vollautomatisch. Die besinnungslosen Tiere wurden von Haken an einem Bein gepackt und daran hängend einem waagrecht befestigten Kreissägeblatt zugeliefert. Gemächlich und ohne großes Aufsehen erledigte dieses dann unermüdlich den finalen Kehlenschnitt. Die geschlachteten Tiere wurden danach von der umlaufenden Anlage ausgeklinkt und weiter in einen separierten Raum zum Ausbluten und Abhängen transportiert. Die riesige Tötungsanlage massakrierte im Akkord und ohne lästige Gewissensbisse und fehlerfre. Die Bilder waren eigentlich schon erschreckend genug, aber das jämmerliche, beinahe menschliche Geschrei der Allesfresser, ging durch Mark und Bein. Über zusätzliche olfaktorische Eindrücke wollte ich mir erst gar nicht den Kopf zerbrechen. Das war auch nicht notwendig, denn den Entschluss künftig auf Fleisch zu verzichten, hatte ich ohnehin gefasst.

Was mich dazu bewegte Mörder zu werden, das ist eine andere Geschichte.

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